Netzwerk gegen die Angst

Von Bardo Faust

Ärzte und Therapeuten kümmern sich um traumatisierte Flüchtlinge in Wiesbaden. Es bildet sich ein Netzwerk gegen die Angst. Weitere Helfer werden gesucht.

Eine Menge schlimmer Erlebnisse belasten die Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen. Oft sind sie so schlimm, dass sie den Betroffenen häufig nicht so leicht über die Lippen kommen. Dazu kommen die neue Umgebung, die Alltagsprobleme, der Schwebezustand, in dem sie sich befinden. „Damit müssen die Menschen zunächst mal klar kommen“, sagt Helga Brenneis. „Das ist nicht einfach. Viele fühlen sich heimatlos.“

Die ärztliche Psychotherapeuthin ist Teil eines Netzwerkes, das sich derzeit in Wiesbaden knüpft. Ziel: den Geflüchteten mindestens mit Gesprächsangeboten, wenn nötig aber auch psychiatrisch oder psychotherapeutisch helfen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und die neue Lebenssituation, das neue Umfeld anzunehmen. Wer dabei welche Hilfe benötigt ist jedoch gar nicht so leicht festzustellen: „Niemand läuft durch die Unterkunft und sagt: Ich bin traumatisiert“, sagt Verena Travers-Schubert.

80 Ärzte helfen

Die Internistin ist eine von mittlerweile 80 Ärzten, die in den Flüchtlingsheimen und darüber hinaus helfen. Das Netzwerk geht von einer Initiative der Bezirksärztekammer Wiesbaden aus. Seit Sommer 2015 bieten die Ärzte regelmäßig in den Erstaufnahmeeinrichtungen Sprechstunden an. Am Anfang ehrenamtlich. Mittlerweile gibt es 15 Euro pro Behandlung.

Es sind Ärzte aus verschiedenen Disziplinen, die sich unterschiedlich intensiv engagieren. „Ich bin so etwa alle zwei Wochen im Einsatz“, sagt Travers-Schubert. Drei bis vier Stunden ist sie dann vor Ort, rund 30 Menschen kommen in dieser Zeit zu ihr. Hausärzte, Allgemeinärzte seien in erster Linie gefragt. Aber auch die Spezialdisziplinen sind vertreten – wenn auch nicht zwingend vor Ort: „Wenn aber beispielsweise jemand einen Hautarzt braucht oder Zahnschmerzen hat, ist das mit einem Anruf schnell erledigt.“

Vieles bleibt unentdeckt

Die Angebote für traumatisierte Menschen sind dagegen noch rar gesät: „Manchmal fällt es in einer der Sprechstunden auf, ob jemand ein Problem hat“, sagt Travers-Schubert. Aber vieles bleibe unentdeckt. Deshalb müssten die Hilfsangebote dringend erweitert werden.

Helga Brenneis setzt dabei zunächst auf niedrigschwellige Angebote. „Wir müssen die Menschen stabilisieren und sehen, wie die Erlebnisse der Flucht bewältigt werden können.“ Zunächst seien hier die Frauen gefragt. So gebe es beispielsweise im Wiesbadener internationalen Frauen-Begegnungszentrum (WIF) zwei Gruppen, die sich dort regelmäßig treffen. „Das läuft sehr gut.“

Brenneis hofft, demnächst mehrere solcher Angebote machen zu können. Damit alle Flüchtlinge in allen Unterkünfte davon profitieren können. Das sieht Travers-Schubert ähnlich: „Viele Probleme lassen sich im Gespräch lösen“. Man müsse die Menschen eben nur zum Reden ermutigen. Wie etwa den Jugendlichen, der neurologisch sehr auffällig war. Nach einem langen Gespräch kam dann heraus: Die Schlepper hatten ihm gesagt, er müsse sich als 18-Jähriger ausgeben, sonst müsse er direkt ins Jugendgefängnis. Als ihm klar gemacht worden sei, dass dies nicht stimme, habe sich der Knoten gelöst. Heute lacht er wieder.

„Wir brauchen dringend noch weitere Mitstreiter“, wirbt Brenneis. Psychiater, Psychotherapeuten oder Menschen aus anderen Berufen mit therapeutischer Ausbildung sind gefragt. Derzeit sind nur sechs Leute aus diesem Fachbereich am Werk – viel zu wenige, um den Bedarf zu decken. Und: „Bisher sind alle Angebote nur für Frauen. Wir müssen aber auch etwas für Männer machen.“ Dafür fehlen jedoch Mitarbeiter mit Erfahrungen in der Männerarbeit. Ebenso wichtig sind Kindertherapeuten: „Da haben wir noch gar niemanden.“

Für Brenneis kann dies alles nur ein Anfang sein. In den Erstaufnahmeeinrichtungen, aber auch bei den Flüchtlingen, die Wiesbaden dauerhaft zugeteilt wurden. Im Jahr 2015 waren dies 1885 plus 300 Minderjährige, wie Wolfgang Werner sagte. Der zuständige Amtsleiter ist denn auch froh über die fachärztliche Mitarbeit.

Stadt unterstützt organisatorisch

Die Stadt Wiesbaden unterstützt die Flüchtlinge übrigens durch ihre Sozialarbeiter. Rund 20 Mitarbeiter seien damit derzeit beschäftigt, den Flüchtlingen das Eingewöhnen zu erleichtern. Stelle sich dabei heraus, dass jemand psychologische Hilfe benötigt, nehmen die Sozialarbeiter denn auch Kontakt zu Psychiater oder Therapeuten auf, helfen bei der Koordination der Termine, gehen bei Bedarf auch beim ersten Mal mit – entweder zum Arzt in Wiesbaden, zu einem der Netzwerker in den Flüchtlingslagern oder zu Fatra, einem Frankfurter Verein für Flüchtlingshilfe. „Den weiteren Verlauf haben wir dann aber nicht mehr im Blick“, sagt Brenneis

Finanziell unterstützt die Stadt die Ärzteschaft nicht. Wohl aber ideell und organisatorisch, wie Helga Brenneis sagt. So helfe die Stadtdruckerei zum Beispiel bei der Herstellung eines Bilderbuches für traumatisierte Kinder.

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